Samstag, 17 Mai 2025 09:22

Theater unter Nürnberg

Theater Theater Pixabay

Wer an Theater denkt, denkt selten an Beton, Dunkelheit oder die vibrierende Stille eines verlassenen Tunnels. Und doch ist genau das in Nürnberg Realität geworden. Immer öfter wird dort Theater nicht auf den Bühnen der klassischen Häuser gespielt, sondern unter der Erde. In stillgelegten U-Bahn-Schächten entstehen temporäre Bühnen, die das kulturelle Leben der Stadt auf unerwartete Weise bereichern. Es sind Orte, die einst für Technik und Transport geplant waren – heute sind sie Treffpunkte für Kunst, Performance und urbane Erzählungen.

Diese ungewöhnlichen Spielstätten entstehen abseits des Alltäglichen. Wer hier zuschaut, muss oft eine Stirnlampe tragen, warme Kleidung mitbringen oder über Geröll steigen. Doch der Aufwand lohnt sich. Denn genau dort, wo sonst niemand hingeht, entfalten sich intensive, stille, kraftvolle Geschichten.

Räume unter der Stadt

Nürnbergs U-Bahn-Netz wurde über Jahrzehnte geplant und gebaut. Dabei entstanden nicht nur genutzte Strecken, sondern auch technische Schächte, Reserveschächte und nicht aktivierte Verbindungstunnel. Einige davon sind heute zugänglich, manche wurden nie vollständig in Betrieb genommen. Diese Orte sind dunkel, feucht, rau. Doch genau das macht sie interessant für Künstlerinnen und Künstler.

Die architektonischen Gegebenheiten variieren. Manche Schächte sind lang und schmal, andere erinnern an große Kellergewölbe. Die Akustik ist eigenwillig. Stimmen hallen, Schritte klingen weit. Für viele Theatermacher ist das nicht Hindernis, sondern Inspiration.

Einige dieser Tunnel befinden sich in der Nähe der U-Bahnhöfe Plärrer, Friedrich-Ebert-Platz oder entlang der nie eröffneten Verbindung zwischen U3 und einem geplanten Nordast. Die Stadt Nürnberg stellt diese Orte unter Auflagen für kulturelle Nutzung zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit Technikern, Sicherheitspersonal und Künstlergruppen entstehen so temporäre Räume für Theater, Tanz und Performance.

Theater abseits der Norm

Besonders aktiv ist das Kollektiv „SchachtKunst“, das sich auf Theater im Untergrund spezialisiert hat. Ihre Inszenierungen nutzen die Gegebenheiten des Raums radikal. Requisiten sind oft minimal. Die Atmosphäre entsteht aus Licht, Klang und dem Ort selbst. Das Publikum sitzt auf Kisten, Paletten oder steht entlang der Tunnelwand.

Eine der bekanntesten Produktionen hieß „Der letzte Ausgang“. Die Geschichte: Ein dystopisches Szenario, in dem Menschen unter der Erde Zuflucht suchen. Die Darsteller bewegten sich durch den Tunnel, das Publikum folgte langsam, beleuchtet nur von schwachen LED-Streifen. Der Raum wurde Teil der Geschichte. Geräusche von Tropfen, entfernte Schritte, das Dröhnen der Stadt über den Köpfen – alles war inszeniert, und doch echt.

Ein weiteres Projekt entstand in Kooperation mit https://trioexaequo.de/. Das Klangkollektiv ergänzte die Theateraufführung mit einer Live-Soundinstallation, die über Kontaktmikrofone und Betonresonanzen arbeitete. Die Zuschauer erlebten eine Klangwelt, wie man sie sonst nur aus Filmen kennt – direkt am eigenen Körper.

Neben „SchachtKunst“ gibt es kleinere Gruppen wie „Off-Theater Untergrund“ oder studentische Initiativen der Hochschule für Musik und Theater Nürnberg. Auch Tanz-Performances, Literaturlesungen und Klangexperimente finden ihren Weg in die Schächte. Alle Produktionen arbeiten mit einer Genehmigung und Sicherheitskonzepten. Helme, Fluchtwege, CO2-Messungen – alles wird berücksichtigt, damit Kunst in diesen besonderen Räumen sicher stattfinden kann.

Neue Erlebnisse im Untergrund

Warum zieht es Menschen in dunkle Tunnel, um Theater zu erleben? Die Antwort liegt in der Erfahrung selbst. Wer einen solchen Ort betritt, lässt den Alltag hinter sich. Es entsteht ein intensives Verhältnis zwischen Raum, Kunst und Betrachter. Kein Handy klingelt. Keine grellen Lichter lenken ab. Stattdessen: Fokus, Nähe, Unmittelbarkeit.

Viele Besucher berichten, dass sie in den Untergrundstücken ein völlig neues Verständnis für Theater bekommen haben. Die Grenzen zwischen Spiel und Realität verschwimmen. Die Intimität ist größer als in jedem Theatersaal. Und die Themen der Stücke wirken stärker, wenn sie in einem Raum voller Geschichte und Verfall erzählt werden.

Auch die Stadt profitiert. Die Projekte ziehen neue Zielgruppen an. Junge Menschen, die sonst selten ins Theater gehen, sind neugierig auf diese Erlebnisse. Stadtführungen integrieren erste Stationen solcher Kulturorte. Initiativen entstehen, die diese Erfahrungen dokumentieren und weiterentwickeln.

Eine kurze Übersicht über besondere Orte:

  • Schacht Plärrer-Nord – lange genutzt für technische Tests, heute Raum für Theater und Musik

  • Tunnelabschnitt Eberhardstraße – akustisch besonders spannend

  • Zugangsstollen Marienstraße – Ort für experimentelle Performances

  • Verbindungstunnel Nordlinie – selten genutzt, aber regelmäßig Schauplatz für Kunstaktionen

Nicht alle Orte sind öffentlich zugänglich. Viele werden gezielt für Aufführungen hergerichtet, dann wieder verschlossen. Das erhöht den Reiz. Es sind Erlebnisse auf Zeit, einmalig und vergänglich.

Zukunft unter der Oberfläche

Die Nachfrage nach solchen Produktionen wächst. Immer mehr Gruppen interessieren sich für die Verbindung von Raum, Stadtgeschichte und Performance. Die Stadt Nürnberg prüft aktuell neue Modelle für die kulturelle Zwischennutzung städtischer Infrastruktur. Gespräche mit Verkehrsbetrieben, Kulturrat und Sicherheitsstellen laufen.

Die Kombination aus Theater und Klangkunst wird dabei besonders beachtet. Projekte wie die des Kollektivs „Trio Ex Aequo“ zeigen, wie stark die Verbindung sein kann. Die Erweiterung auf Workshops, Klanginstallationen und mobile Performances ist geplant. Erste Ansätze sind bereits auf https://trioexaequo.de/culture zu finden.

Diese Form des Theaters ist nicht für jeden gemacht. Aber sie zeigt, wie offen Kunst sein kann. Wie viel Potenzial in vergessenen Orten steckt. Und wie stark die Wirkung von Geschichten ist, wenn sie aus dem Dunkel kommen.

Nürnbergs geheime Bühnen sind kein Geheimtipp mehr. Wer sich auf sie einlässt, entdeckt ein Theatererlebnis, das unter die Haut geht – und unter die Stadt.